Link zur Seite versenden   Ansicht zum Drucken öffnen
 

Geschichte des Alten Rathauses zu Bergen - von Werner Henschke

Werner Henschke war eine treibende Kraft für die Errichtung eines Heimatmuseums in Bergen-Enkheim.

Durch seine Bemühungen gelang es, das Alte Rathaus in Bergen zum Platz des Heimatmuseums zu machen.

Henschke war auch ein Kenner der fast 700-jährigen Geschichte des Alten Rathauses.

Sein Aufsatz aus dem Jahre 1972 wurde  aufbereitet und mit Überschriften versehen im August 2022.

 

"In drei klassischen Baustilepochen haben Baumeister und Handwerker unser Rathaus geformt: in der Gotik, in der Renaissance und in der Barockzeit. Und trotz der verschiedenen Kunstanschauungen entstand eine architektonische Einheit, die als Wahrzeichen der Stadt Bergen-Enkheim weit und breit bekannt ist und immer wieder besichtigt und bewundert wird.

 

1300 – 1350 Das „Spilhus“ entsteht

 

In den Jahren zwischen 1300 und 1350 benötigte die aufstrebende Gemeinde Bergen mit dem Ortsteil Enkheim - um ein heute übliches Wort zu gebrauchen - eine Mehrzweckhalle. In ihr sollte Gericht gehalten werden »bei scheinender Sonne«, wie es von der Herrschaft befohlen war. Durchziehende Kaufleute sollten ihre Waren anbieten, die in einer überdachten Halle vor Witterungsunbilden geschützt werden konnten. Aber auch Feste wollte man dort feiern, denn es fehlte ein Raum in ähnlicher Größe. Im Mittelalter gab es das Allerweltswort »spil«, das eine Sammelbezeichnung für reden, versammeln besprechen, aber auch für Unterhaltung, Feiern und geselliges Beisammensein darstellte. Dieses erste Dorfgemeinschaftshaus erhielt also den Namen »spilhus« (Spielhaus).

 

Das Spilhus als befestigtes Torhaus

 

Man baute es an die damalige Ortsgrenze und stellte es als Sperre mitten auf die »Breite Gasse«, die heutige Marktstraße. Die Fenster nach Westen in Richtung Frankfurt wurden als Schießscharten ausgebaut, und in den Seitenwänden waren Öffnungen, um dort Baumstämme als Straßensperren ein- schieben zu können. Diese vermauerten Vierecke kann man jetzt noch erkennen. Die Ringmauer entstand erst 150 Jahre später; damals bildete das »Spilhus« mit den Straßensperren also das befestigte Torhaus wie später die Unterpforte.

 

Fundament und Keller

 

Unter dem Rathaus wölbt sich ein mächtiger Keller. Eine Treppe mit zwanzig Stufen führt hinab in die Höhlung, die aus dem gewachsenen Kalkstein herausgeschlagen worden ist. Das »Spilhus« benötigte auch kein Fundament. Der harte Corbiculakalkstein, vor dreißig Millionen Jahren in einem Tertiärmeer abgelagert, bildete einen sicheren Baugrund. In den trockenen Gewölben lagerte der Wein aus den Gemeindeweinbergen. Vor der Kellertür hatten geschickte Hände zwei starke Basaltsäulen errichtet, und die benötigte man, wenn man die Weinfässer auf einer »schiefen Ebene« hinabließ oder heraufholte. –

 

In dieser Gestalt hat das »spilhus« fast zwei Jahrhunderte hindurch den Bürgern als Ortsmittelpunkt in guten und in schlechten Zeiten gedient. Nun sollte die Beilegung eines jahrhundertelangen Streites zwischen den Grafen von Hanau und der Reichsstadt Frankfurt eine Änderung bringen. In den Verträgen von 1481 und 1484 hatte Graf Philipp I. von Hanau von den 20 Dörfern der alten Königsgrafschaft Bomheimer Berg 17 erhalten, während sich Frankfurt mit dreien begnügen musste. Hanau bestimmte Bergen zum Haupt- und Verwaltungsort dieses Gebietes, und dafür benötigte man die entsprechenden Räumlichkeiten.

 

1520 – 1530: Fachwerk-Obergeschoss und Treppenturm entstehen

 

Zum Glück waren die Mauern des »spilhuses« fast einen Meter stark, und so stellten geschickte Handwerker zwischen 1520 und 1530 ein prächtiges Fachwerkobergeschoß im Stil der bäuerlichen Renaissance auf die Mauern der gotischen Gerichtshalle. Starke Eichenbalken wurden für die Decke der Halle zurechtgehauen, die von den beiden alten Trägerpfosten und einem ungefügen »Unterzug« für eine kleine Ewigkeit getragen werden sollten. Etwas ganz Besonderes hatte sich der Baumeister für die Längsseiten und für den östlichen Schmuckgiebel ausgedacht. Die Jahre um 1500 nennt man die Zeit der letzten Ritter, deren Rüstungen nun den Feuerwaffen nicht mehr standhalten konnten. Wohl zur Erinnerung an diese Gewappneten konstruierte der Meister das Balkengefüge des »Wilden Mannes«. Die Eichenbalken sind so geschickt zusammengesetzt, dass der Eindruck entsteht, als trüge ein breitbeinig stehender Ritter mit seinen erhobenen Armen den obersten Querbalken, die »Sattelschwelle«; ein Charakteristikum der Fachwerkschmuckbauten zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Nach Osten zu, wo sich die »Breite Gasse« zu einem Platz erweitert, unterbricht ein hübscher Erker im Fünfachtelschluss die Breite des Giebels. Aus seinen Fenstern konnte der hanauische Beamte wichtige Bekanntmachungen verlesen lassen.

 

Nun war aber für das »spilhus« in seiner ursprünglichen Gestalt kein Obergeschoß vorgesehen; deshalb fehlte auch eine Treppe. Um aber die Halle und die Räume im Obergeschoß nicht zu verkleinern, baute man vor die Westseite ein Treppentürmchen. Trotzdem die Stiege sehr schmal ist, mussten je ein Drittel eines Fensters und der Tür der Halle für den Treppenturm geopfert werden.

 

Ab 1484: Spilhus als Gerichtssitz

 

Der Paraderaum im Obergeschoß ist der 75 qm große Gerichtssaal, der von 1821 an als Sitzungsraum der Gemeindeschöffen und später dann der Gemeindevertretung diente. Das Hohe Gericht Bornheimer Berg, das von 1484 an als Landgericht in Bergen »gehegt« wurde, umfasste auch die Blutgerichtsbarkeit und kann mit einem heutigen Landgericht verglichen werden. Außerdem gab es aber in Bergen noch ein Dorfgericht. Hanau vereinigte zwischen 1572 und 1593 die Dorfgerichte der ganzen Grafschaft zu einem »Untergericht« und legte dessen Sitz ebenfalls nach Bergen.

 

Damit beherbergte das Berger Rathaus nun ein Landgericht und ein Amtsgericht (Untergericht). Um dieser Bedeutung auch nach außen hin Gewicht zu verschaffen, musste das Rathaus entsprechend würdevoll aussehen. Die alte Gerichtshalle im Erdgeschoß blieb weiterhin der schon erwähnte »Mehrzweckraum«. Da die Kirchengemeinde nach der Reformation kein eigenes Gotteshaus in Bergen besaß, versammelten sich die Kirchgänger bei schlechtem Wetter und in Kriegszeiten oft genug »unterm Rathaus«, um dort der Predigt zu lauschen. Auch Feste wurden dort weiterhin gefeiert, und hier verdient ein Eintrag im Totenbuch der Pfarrei Bergen Erwähnung.

 

Am 2. Juni 1597 wurde in der Rathaushalle das Richtfest des Enkheimer Mühlenneubaues gefeiert und dabei »den Nachbarn« ein Ohm Wein (= 160 Liter!) zum »Drincken« gegeben. Der Wein muss eine fürchterliche Wirkung gehabt haben, denn »Hanns Herbst wurde von Heßen Enders (Andreas) uff dem Rahthauß Umbgebracht und ermordt«. Welche Strafe den Totschläger traf, verschweigt der Pfarrer; er hatte ja auch nur den bedauerlichen Todesfall zu vermerken und nicht zu richten.

 

Nach 1700: Fachwerk wird verputzt, Dachreiter kommt

 

Nach dem Dreißigjährigen Kriege gab es im Gerichtswesen wichtige Änderungen. Das Untergericht wurde abgeschafft, und die alten Dorfgerichte lebten als »Ortsgerichte« wieder auf. Dort wurden aber nur Kleinigkeiten behandelt. Für alle wichtigen Fälle und besonders für die »peinlichen Verfahren«, die meistens mit Folter und Hinrichtung endeten, war jetzt ein Obergericht in Hanau zuständig.

 

Schon lange vor 1700 hatte mit dem Barockstil eine neue Kunstanschauung Einzug gehalten. Jetzt wirkte Fachwerk zu bäuerlich; ein wichtiges Amtsgebäude musste aus Steinen errichtet sein oder wenigstens so aussehen. Deshalb verputzte man nach 1700 das schöne Fachwerkgefüge, und die gotischen Bögen an den Längsseiten wurden zugemauert.

 

Für die neue Feuerspritze benötigte die Gemeinde eine Unterstellmöglichkeit. Deshalb wurde an der Ostseite ein barocker Rundbogen aus Sandstein eingefügt, der das Tor zum Spritzenhaus in der Gerichtshalle darstellte. Eine weitere Tür führte in das Wachtlokal mit einer Arrestzelle.

 

Dem Zeitgeschmack entsprechend erhielt das Rathaus im Jahre 1704 einen Dachreiter mit einer Laterne und einem schiefergedeckten Zwiebelkopf. In dem Türmchen hing dann eine Glocke für die Rathausuhr.
 

Auszug des Landgerichts, Altes Rathaus als Lagerstätte

 

Die Grafschaft Hanau ließ im Jahre 1724 ein eigenes »Amtshaus« erbauen, nur wenige Meter vom Rathaus entfernt. Und da der Amtmann und sein Gerichtsschreiber in der Zeit nach 1736, als die Grafschaft Hanau nach dem Aussterben des letzten Grafen an Hessen-Kassel gefallen war, nach den neuen Hofgerichtsordnungen richteten, zogen sie immer mehr Rechte an die landgräflichen Instanzen. Das dörfliche Gerichtswesen erstarrte zu einem mechanischen Frage- und Antwortspiel. Dafür genügten der Saal und zwei kleine Räume im Obergeschoß.

 

Der Weinkeller wurde an den Meistbietenden vermietet. Hinter der Feuerspritze in der Halle lagerten Stroh und Holz, und allerlei Gerümpel wurde dort abgestellt.

 

Das Alte Rathaus in den Kriegen des 18. Jahrhunderts

 

In der Schlacht bei Bergen am 13. April 1759 spielte das Rathaus als Verteidigungsbastion eine bedeutende Rolle. Von hier aus wurden die durch die Oberpforte eingedrungenen friderizianischen Truppen von den Franzosen unter ein vernichtendes Musketenfeuer genommen. Das Rathaus hatte wieder einmal seine Bedeutung als Straßensperre bewiesen. Nach der Schlacht diente das Gebäude als Lazarett.

 

Am 18. November 1792, als die französischen Revolutionstruppen von Mainz aus bis nach Bergen vorgedrungen waren, schossen sie vom Rathaus aus den Führer einer hessischen Vorausabteilung nieder. Er starb im gegenüberliegenden Amtshaus in den Armen seiner Braut, der Tochter des Amtmannes Usener. Dann aber stürmten die hessischen Husaren mit gezogenem Säbel das Rathaus und metzelten alle Franzosen mitleidlos nieder. Mehr als zwanzig Tote hat man dort gezählt.

 

Als die Franzosen nach der Schlacht bei Hanau im Jahre 1813 durch Bergen zogen, richteten sie im Rathaus wieder ein Lazarett ein. Beim Abzug zerschlugen sie die Fenster und verbrannten Türen und Möbelstücke in den zahlreichen Wachtfeuern.

 

1821: Altes Rathaus wird Sitz des Bürgermeisters und Armenhaus

 

Durch das hessische Organisationsedikt von 1821 war der kurfürstliche Amtmann kein Verwaltungsbeamter mehr. An die Stelle des Zentgrafen, der schon in napoleonischer Zeit einem »Maire« weichen musste, trat nun der Bürgermeister. Für ihn und den Gemeindeschreiber genügten die beiden kleinen Zimmer neben dem Rathaussaal. Alle übrigen Räume wurden vermietet oder dienten als Notwohnung für solche Leute, die ihre Miete nicht bezahlen konnten.

 

1910: Renovierung

 

Im Jahre 1910 erfolgte eine Renovierung des Gebäudes. Von einer Freilegung des Fachwerks musste man Abstand nehmen, weil die Balken unter dem Putz zu sehr gelitten hatten. Mit dem sprunghaften Ansteigen der Einwohnerzahlen steigerte sich in unserem Jahrhundert auch der Geschäftsverkehr im Bürgermeisteramt derartig, dass die Räume im oberen Stockwerk nicht mehr ausreichten. Einzelne Abteilungen wurden in eine Gastwirtschaft und in einen Schulraum umquartiert. Der Plan, das Erdgeschoß des Rathauses zu Büroräumen umzugestalten, wurde des Öfteren aufgegriffen, musste aber immer wieder wegen fehlender Geldmittel zurückgestellt werden.

 

1933 - 1936: Sanierung und Freilegung des Fachwerks mit ABM

 

Im Herbst 1933 beantragte der damalige Bürgermeister Carl Fey Zuschüsse nach dem Gesetz zur Arbeitsbeschaffung, um die dringend erforderlichen Büroräume einrichten zu können. Bezirkskonservator Dr. Bleibaum wurde eingeschaltet, der seitens der Denkmalspflege keine Einwände gegen den Umbau des Rathauses erhob. Er forderte aber die Freilegung des Fachwerks, um eine staatliche Beihilfe befürworten zu können.

 

Mit den Umbauarbeiten wurde 1934 begonnen. Viele Balken des zerstörten Fachwerks wurden ausgewechselt. Man entfernte die Vermauerungen der gotischen Bögen und gestaltete sie zu Fenstern um. Ein Drittel des Erdgeschosses blieb als Eingangshalle ohne eigentliche Nutzung; der Rest wurde zu Büroräumen umgebaut. Die veranschlagten 15 000 Mark reichten bei weitem nicht aus; denn erst 1936 konnten die Handwerker das stilvoll wiederhergestellte Rathaus verlassen.

 

1959: Heimatmuseum zieht in das Obergeschoss des Alten Rathauses

 

Damals hatte Bergen-Enkheim 6500 Einwohner. Diese Zahl änderte sich bis 1945 nicht wesentlich. Dann aber folgte in den fünfziger Jahren eine sprunghafte Aufwärtsentwicklung, und im Jahre 1960 lebten in Bergen-Enkheim schon über 10000 Menschen. Im April 1957 erfolgte die Einweihung der modernen Schule am Hang, und die Gemeindeverwaltung ließ die geräumige »Alte Schule« aus dem Jahre 1844 zu Verwaltungsräumen umbauen.

 

Und so konnte das Heimatmuseum von 1959 an im Obergeschoß des Rathauses eine Unterkunft finden, während die Polizeidienstabteilung das Erdgeschoß bezog. Als aber die Bürgerschaft der Stadt Bergen-Enkheim im Jahre 1971 auf 16000 angewachsen war, fand die immer zahlreicher werdende Belegschaft der Ordnungshüter keinen Platz mehr, und es musste für die Polizei ein neues Domizil im Stadtteil Enkheim geschaffen werden.

 

1972: Heimatmuseum nun auch in der großen Halle

 

Im Februar 1972 war also die Gelegenheit gegeben, die nachträglich eingeflickten Wände im Erdgeschoß des Rathauses zu beseitigen, um die Gerichtshalle in ihrer alten Schönheit wiederherzustellen und museal zu nutzen. Das älteste Gebäude unserer Stadt, das mehr als 600 Jahre hindurch ein Spiegelbild ihrer großen Geschichte und der wechselnden Stilwandlungen gewesen ist, wird nun - liebevoll gepflegt - die Erinnerungen daran bewahren.

 

In der Gerichtshalle ist die Baugeschichte des Rathauses in Bildern und Modellen und die Bedeutung dieses wahrhaft historischen Gebäudes für Bergen-Enkheim und für die Grafschaft Bornheimer Berg ausführlich und anschaulich dargestellt".